Ultratrail Madeira

Erlebnisbericht Stephan

Wenn man einen runden Geburtstag hat, macht man sich ja so seine Gedanken. Natürlich ist es an sich egal, ob man 35, 40, 50 oder 60 wird. Alter ist eine Einstellungssache. Trotzdem habe ich vor meinem vierzigsten Geburtstag viel gegrübelt.  Vor allem über meine sportliche Leistungsfähigkeit. Irgendwie kam ich dann auf die glorreiche Idee mit 40 einen Wettkampf zu machen, den ich mit 39 niemals gemacht hätte. Es sollte ein extravagantes Abenteuer sein und wenn es irgendwie geht, nah an meinem Geburtstag stattfinden. So kam ich nach einiger Sucherei auf den Madeira Ultra Trail. Ich dachte mir, dass sich der Wettkampf gut mit Urlaub verbinden lässt und buchte über Sommerkind Sportreisen eine Woche Madeira inkl. Wettkampf.

85km mit 4700 HM auf einer schönen Insel fand ich eine würdige Herausforderung. So richtig beschäftigt hatte ich mich vor der Anmeldung mit dem Wettkampf nicht. Dank meinem Freund Bernd Hefner stellte ich bald fest, dass ich mich wohl auf etwas sehr Hartes eingelassen hatte. Ich fand es ja schon komisch, das zur Pflichtausrüstung des Veranstalters zwei Stirnlampen und Ersatzakkus gehörten. Bernd schickte mir einen Wettkampfbericht, der sich recht horrormäßig las: „Sau hart, viele Treppen, extreme Temperaturschwankungen“. So richtig ernst nahm ich den Bericht nicht und las auch keinen weiteren - war vielleicht ganz gut so.

Meine Vorbereitung lief gut. Ich laufe nicht sehr gerne extrem viele Kilometer, dafür mache ich viel alternatives Training. In unserer Region gibt es leider keine richtig steilen, langen, bergab Passagen. Ich versuchte also beim Kraftausdauertraining speziell meine „Bremsmuskulatur“ zu stärken. Mein längster „Lauf“ in der Vorbereitung dauerte ca. 4,5 Stunden, dabei bin ich mit meiner treusten Laufgefährtin Mandula (das ist mein Hund) den Deutsch-Französischen Burgenweg abgelaufen/gewandert. Mein Wochenumfang lag von Februar bis April bei ca. 75 km die Woche, mehr habe ich aus Zeitgründen leider nicht geschafft. Dazu noch einige Radkilometer bei unserem LEX Trainingscamp auf Mallorca und schwimmen war ich auch ca. einmal die Woche. Da man ja nicht jünger wird, besuchte ich einmal die Woche die Physiotherapiepraxis Physio Point von Michael Holzner um meiner Fuß-, Knie und Hüftstabilität den letzten Schliff zu verpassen. Dazu mache ich regelmäßig Yoga und rolle mich regelmäßig auf der Faszienrolle und Faszienbällen aus.

Gut vorbeireitet flog ich dann am 18.04 nach Madeira. Mein erster Eindruck von der Insel war überwältigend. Alles total grün, super schöne Vegetation und sehr steile Berghänge. Die Insel ist vulkanischen Ursprungs. Ich finde die Insel hat was von dem Planeten Pandora, aus dem Film Avatar. Madeira ist berühmt für seine Levadas, das ist ein Bewässerungssystem, das die ganze Insel versorgt. Neben den Levadas verlaufen oft sehr schmale und wunderschöne Wanderwege, die man auch beim MIUT erlaufen darf. Die Hauptstadt von Madeira ist Funchal, dort gibt es die berühmten Korbschlittenfahrer. In der Stadt gibt es eine Seilbahn mit der man zum Botanischen Garten fahren kann. Funchal ist auf jeden Fall eine Reise wert und zum Urlaub machen oder wandern fliege ich bestimmt mal wieder nach Madeira. Degenfisch mit Banane und Maracujasoße sowie Thunfisch auf dem heißen Stein waren die kulinarischen Highlights.

Beim MIUT kann man vier Distanzen absolvieren. Die 115 km (Inselquerung), welche auch Teil vom Ultratrail Weltcup ist. Meine Strecke, die 85km, sowie einen Marathon und einen „Minilauf“ über 16 km. Die 85km Strecke führte von Sao Vicente nach Machico. Morgens um 5:30 Uhr ging es los. Wir fuhren mit dem Bus von Machico aus zum Start. Ich war sehr entspannt, denn mir ging es ja nur ums durchkommen und ich wollte ein bisschen Abenteuer erleben. Der Start erfolgte dann im Dunkeln um 7:00 Uhr. Gleich zu Anfang ging es sehr steil eine befestigte Straße hoch, wo sich das Feld gut sortieren kann. Nach 30 Minuten hatte ich bereits die ersten 400HM absolviert. Die Trails waren sehr anspruchsvoll. Sehr schmal, sehr viele Treppen, sehr uneben, man musste die ganze Zeit extrem konzentriert laufen. Man durchquerte Tunnel in den Bergen und musste auch auf den ein oder anderen Baum aufpassen, dessen Äste genau auf Stirnhöhe verliefen. Ich kam sehr gut in den Rhythmus.  Ich konnte die spektakulären Aussichten aber nur teilweise genießen, denn leider liefen wir in das Hauptfeld der 115km Läufer hinein. Jetzt galt es also, neben den krassen Wegen auch noch keinen über den Haufen zu laufen und Passagen zu finden, wo man irgendwie möglichst störungsfrei überholen kann. Bei ca. 30-50 cm breiten Wegen war das eine echte Herausforderung. Die Streckenführung ist toll und der Lauf ist super organisiert. Die Helfer sind total freundlich und zuvorkommend, aber das viele Überholen und später überholt werden, hat dann irgendwann doch ziemlich genervt. Trotzdem bin ich ganz ruhig geblieben, hab mir das Rennen gut eingeteilt und habe noch Zeit gefunden Fotos zu machen und Videos zu drehen. So ging es dann lange bergauf und bergab auf der tollen abwechslungsreichen Insel. Der absolute Wahnsinn war das Wetter, blauer Himmel, tolle Aussichten, nur im Hochgebirge ging es mal länger durch Nebel.

Es gab viele Highlights. Für mich war der Anstieg zum Pico Ruivo und vor allem der Weg von dort zum Pico de Areeiro der anspruchsvollste Abschnitt. Dort ist es extrem steil, es gibt extrem viele hohe unrhythmische Stufen und man muss sehr trittsicher sein, weil es links und rechts teilweise mehrere hundert Meter steil abfällt. Absolut spektakulär diese Passage. Bergab waren die Stufen wohl ein bisschen sehr ungewohnt für mich. Meine Hüftmuskulatur und Gesäßmuskulatur hat in diesem Abschnitt irgendwann total zu gemacht. Durch diese extrem verhärtete Muskulatur um die Hüfte bekam ich leider Probleme mit meiner körpereigenen Federung. Bergablaufen fühlte sich ab da an wie in einem Auto mit defektem Stoßdämpfer zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwar die meisten positiven Höhenmeter hinter mir, aber ich musste noch ganz viel bergab laufen. Ich war schon fast 9 Stunden unterwegs. Vor mir lagen aber noch 35 km. Dehnung half auch nicht. Es half nur, ab dort die Zähne zusammenzubeißen und einfach weiter zu laufen. Ich hatte wirklich einen super Tag und konnte mich super auf den Moment konzentrieren. Ich beschäftigte mich fast gar nicht damit wie weit es noch ist. Meine Konzentration lag vor allem darauf die nächste Verpflegungsstation zu erreichen. Das war eine sehr gute Taktik, die ich auch bis zum Ende durchziehen konnte. Meine Beine wurden immer steifer und müder. Irgendwann war laufen absolut nicht mehr möglich. Leider lag da noch ein steiler Abschnitt begab vor mir. Inzwischen war es stockdunkel und ich musste bergab wirklich sehr langsam und vorsichtig gehen, sonst wäre ich einfach umgekippt. Ohne Trailstöcke, wäre ich nicht zur nächsten Verpflegungsstelle gekommen. Nach 14 Stunden und im Stockdunkeln war ich eigentlich am Ende meiner Kräfte. Es waren allerdings immer noch ca. 15km bis ins Ziel. Aufgeben wollte ich nicht. Für mich war klar, entweder nimmt dich ein Rennarzt aus dem Rennen oder du kippst um… Was eine Einstellung ist, die ich, wenn ich so drüber nachdenke, ziemlich dumm finde. Es soll ja Läufer geben, die diesen Zustand toll finden. Ich ausdrücklich nicht. Zurück zum Rennen… für die letzten 15 km habe ich also noch mal 5 Stunden gebraucht… Teilweise bin ich nur mit Mühe und Stockeinsatz aus den Plastikstühlen an den Verpflegungspunkten in den Stand gekommen. Ich bin auch öfter gefragt worden, ob es mir noch gut geht. Ich bin teilweise wohl auch ziemlich geschwankt. Irgendwie habe ich es nach 19 Stunden und 9 Minuten ins Ziel geschafft. Ich habe mich noch nie so lange gequält…. Danke an dieser Stelle an meine Freundin Vicky, die im Ziel sehr lange auf mich warten musste.

Der Wettkampf war eigentlich zu hart für mich. Ich war für meine Verhältnisse super trainiert, hatte einen guten Tag, hab mir das Rennen gut eingeteilt, mich ordentlich verpflegt und konnte den Moment gut genießen. Ich hatte kein „Kopfkino“ (die typischen Fragen, bin ich zu schnell/langsam, wie weit ist es noch usw.). Ich bin natürlich stolz, dass ich es ins Ziel geschafft habe. Ich habe auch schon lange harte Triathlons in den Alpen und harte Trailläufe gemacht. Aber dieser Wettkampf hat mich echt geschafft. Den mache ich nicht nochmal. Zum Wandern oder zum Urlauben und Trainieren fahre ich bestimmt mal wieder nach Madeira. Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer. 4,5 Stunden im Training am Stück laufen ist für einen Wettkampf der 19 Stunden dauern kann, wohl doch etwas wenig. Ich hätte mehr unrhythmische Treppen bergab laufen trainieren können. Wahrscheinlich war einfach die Steigerung zu krass, mein längster Traillauf bis dahin war 62 km und 2100 HM lang. Der Madiera Ultratrail, war der längste Lauf mit den meisten Höhenmetern und den krassesten Wegen, den ich bisher gemacht habe. Wie dem auch sei, ich bin auf Platz 235 von 410 Startern gelandet. Ich hatte ein tolles Abenteuer und ca. 10 Stunden haben wirklich Spaß gemacht. Die Landschaft war gigantisch und das Wetter war toll. Ich habe eine tolle Finishermedaille bekommen, Grenzen verschoben und eine einmalige Erfahrung gemacht. Aber das Wichtigste ist: mit 39 hätte ich das nicht geschafft.

« zurück

Unsere
Premiumpartner